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Die Verkehrswende beginnt im Kopf → Mut statt Elektro

Über die Verkehrswende wird viel diskutiert, für meinen Geschmack wird zu viel geredet und zu wenig gehandelt. Oft wird die sehr komplexe Verkehrswende auf das Thema E-Mobilität reduziert. Ich war auf dem Greentech Festival in Berlin und bin mir nicht sicher, ob das wirklich die Zukunft ist, die wir anstreben sollten. Auch, wenn ich in diesem Artikel einige Studien und belegte Zahlen einbaue, bleibt es doch meine persönliche Meinung zur Verkehrswende.

Für eine Verkehrswende braucht es mehr als E-Mobilität

E – Der Zauberbuchstabe. Man bekommt hier schnell den Eindruck, dass es reicht ein E davorzusetzen und schon bekommt alles einen grünen und nachhaltigen Anstrich. E-Auto, E-Scooter, E-Cargo, E-Motorrad und sogar E-Schiffe. Auf dem Festival fühlte es sich für mich so an, als hätte jemand eine große Blendgranate in die Ausstellungshalle geworfen. Hier wird uns Elektro als die Zukunft verkauft – Echte Innovationen habe ich dort keine gesehen und ich denke, dass eine Verkehrswende mehr braucht als E-Mobilität.

Soll die Zukunft wirklich so aussehen?

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Ist der Austausch des Antriebs wirklich schon die ganze Verkehrswende?

Der Grund, warum alle Automobilhersteller gerade auf Elektroantrieb umschwenken, ist ja nicht ihr plötzlich entdecktes grünes Gewissen, sondern es liegt schlicht daran, dass das Erdöl früher oder später aufgebraucht ist. Jetzt bauen wir also Lithium und seltene Erden ab. Demnächst graben wir für unsere Verkehrswende sogar den Meeresgrund um (Deutschland hat bereits 2006 dafür eine Abbaulizenz erworben). Es macht für die Umwelt jetzt keinen großen Unterschied, ob wir nach Erdöl in der Antarktis bohren oder ob wir in ein nahezu unerforschtes Ökosystem vordringen um Nickel, Kupfer und Kobalt abzubauen. Erdöl und Erze – Beides sind nicht erneuerbare Rohstoffe.

Wir richten also heute unsere Zukunft an Ressourcen aus, die irgendwann genauso erschöpft sind wie Erdöl. Alternativen gibt es schon längst: Silizium, Wasserstoff, Brennstoffzellen, Solar, Induktion, freilich muss das alles noch weiter erforscht werden. Aber hätte die Automobilindustrie ihre Energie in die Forschung gesteckt, statt in die Entwicklung von Betrugssoftware, dann wären wir heute auch schon viel weiter. Hinzu kommt, dass zum Beispiel die Feuerwehr vor einem fetten Problem steht: Elektroautos brennen nämlich verdammt gut.

Dramatisch finde ich vor allem die Größe der neuesten Generation Elektroautos. Wenn man sich die aktuelle Liste von Elektroautos anschaut, sieht man sofort, dass die Autoindustrie lediglich die Motoren austauscht, sonst aber genau dieselben Autos verkaufen will. Braucht die Menschheit echt einen Elektro SUV? Zumal ein wesentlicher Grund, warum die Mobilitätswende notwendig ist, die Feinstaubbelastung ist. 25 % davon stammen von Reifenabrieb, in diesem Punkt macht es keinen Unterschied ob ein 1,2 Tonnen schweres E-Auto oder ein 1,2 Tonnen schwerer Diesel über den Asphalt brettert. DAS hat mit einer Verkehrswende nichts zu tun – Das ist ein „Weiter So!

Ich halte Elektromobilität durchaus sinnvoll für Busse, Car-Sharing und Logistik. Im Individualverkehr hat sie nur bedingt etwas verloren. Und deshalb muss sich jeder selbst eine Frage stellen:

„Wie viel Auto brauche ich überhaupt?“

Erst dann können wir davon sprechen, dass die Verkehrswende begonnen hat. Brauchen wir wirklich einen tonnenschweren E-SUV? Muss ich die 3 km zum Bäcker wirklich mit dem Auto fahren? Brauchen wir ein Auto pro Kopf im Haushalt? Dafür dass die Dinger ca. 90 % des Tages ohnehin irgendwo herumstehen, machen wir einen Riesenwirbel darum. Das sind keine Fahrzeuge – Das sind Stehzeuge. Für manche dient das Auto als vermeintliches  Statussymbol – Ein Symbol für Ignoranz, Faulheit und Kompensation. Ich habe hier ja bereits darüber geschrieben, dass ich mir den Luxus leiste, auf ein Auto zu verzichten und das meine ich genau so – Es ist Freiheit!

Konsequent bedeutet das: Das Auto hat im Individualverkehr nichts verloren. Natürlich bin ich mir bewusst, dass eine autofreie Zukunft eher im Bereich Utopie einzuordnen ist und ich kenne auch die Bedeutung der Automobilindustrie für unsere deutsche Wirtschaft.

Keine Utopie hingegen ist die Neuverteilung des öffentlichen Raumes. Wie ungleich der aktuell vergeben ist, sieht man ganz deutlich in Berlin. Lediglich 49 % der Haushalte verfügen überhaupt über ein Auto. Die Mehrheit kommt in der Hauptstadt also ohne eigenen Pkw aus. Diese Minderheit belegt allein fürs Parken 13 % des Verkehrsraumes, das entspricht 214 mal den Alexanderplatz.

Wenn Elektromobilität die Zukunft ist, dann muss das Auto im Individualverkehr zur Vergangenheit werden.

Ich spreche ganz bewusst vom Individualverkehr, denn natürlich muss der Handwerker weiterhin zum Einsatzort gelangen, Pflegedienste zu ihren Patienten und so weiter. Aber sonst braucht innerhalb der Stadt niemand ein Auto. Natürlich müssen dafür Voraussetzungen geschaffen werden und die Infrastruktur grundlegend verändert werden.

Das sollte für eine erfolgreiche Verkehrswende getan werden

Der aufmerksame Leser dieses Blogs hat sicher schon bemerkt, dass ich begeisterter Fahrradfahrer bin und am liebsten alles innerhalb Berlins mit dem Bike erledige und deshalb halte ich das Fahrrad auch für dem Gamechanger bei urbaner Mobilität. Es passiert  auf dem gesamten Gebiet schon einiges, gerade hier in Berlin.

Bessere Fahrrad-Infrastruktur

Verkehswende Radbahn N1Eine bessere Fahrrad-Infrastruktur ist ein Gewinn für alle. Der Fahrradfahrer kann sich sicher und geschützt bewegen, der Autofahrer muss nicht mehr an jeder Ecke aufpassen. Ist die Infrastruktur gut, wird sie auch genutzt! Ganz einfach. Natürlich muss dem Auto dafür Raum weggenommen werden. 3 Spuren für Autos und 30 cm Radweg neben dem Bürgersteig kann keine Lösung sein. Je mehr Menschen freiwillig häufiger aufs Fahrrad umsteigen, desto weniger Verkehr, weniger Lärm, bessere Luft.
Das muss der erste Schritt sein und erst dann können wir über neue Fahrzeuge sprechen. Leider geht unser Verkehrsminister gerade wieder den zweiten vor dem ersten Schritt – Stichwort E-Scooter. Aber da komme ich später noch darauf zu sprechen.

Fahrradparkhäuser

Zu einer Infrastruktur gehören nicht nur gute Radwege, sondern auch sichere Abstellmöglichkeiten. Was in vielen Ländern bereits selbstverständlich ist, entsteht gerade auch in Deutschland: Parkhäuser für Fahrräder. Sicher, Trocken, Videoüberwacht. Mit Werkstatt, an der ich morgens mein Bike abgeben und abends repariert wieder abholen kann, wie zum Beispiel  in Utrecht.

N1 Radbahn

Ein Beispiel für innovative Lösungen ist die Radbahn N1 in Berlin, die als Kickstarter Projekt begann und deren Umsetzung gerade geplant wird. Ein zusammenhängender Radweg unter dem Viadukt der U1. Also ein überdachter Radweg vom Kudamm bis zur Warschauer Straße. Zusätzlich wird durch die Reibung der Fahrräder auf dem Belag der Strom für die Beleuchtung erzeugt. Ein tolles Konzept, dass jeder immer noch unterstützen kann.

Kostenloser ÖPNV?

Bus und Bahn sind äußerst energieeffizient. Wir haben hier in Berlin eine Luxussituation. 5 Minuten Takt U-Bahn, Busse, S-Bahn, Tram – Alle Ecken in der Innenstadt sind locker flockig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Deshalb halte ich hier bereits heute ein Auto für überflüssig. Kostenloser ÖPNV ist oft eine Reflexreaktion der ahnungslosen Politiker, weil in ihrer kleinen Welt diese Kausalität in populistische Phrasen verpackt werden kann. Ja, tatsächlich halte ich die kostenlose Nutzung für sinnvoll, aber bitte erst nachdem die Infrastruktur ausgebaut wurde. Schließlich ist der ÖPNV in der Rushhour auf manchen Strecken bereits heute überlastet.

Die Frage ist: Wer meldet sein Auto ab, wenn der ÖPNV kostenlos ist? Schon heute ist die 70 € teure Monatskarte lächerlich günstig im Vergleich zu 300 € monatlichen Kosten für einen Golf, Wertverlust noch nicht eingerechnet (Quelle: ADAC) Ein kostenloser Nahverkehr ändert nichts.

Die letzte Meile und warum der E-Scooter nur bedingt sinnvoll istaudi e-tron

Viele Menschen nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel nicht, weil sie das letzte Stück dann doch zu Fuß laufen müssen. Der E-Scooter wäre dafür das perfekte Heilmittel. Bequem zur U-Bahn-Station fahren, das Ding zusammenfalten und einsteigen. Jetzt dürfen die Dinger aber nur auf der Infrastruktur fahren, die schon für Radfahrer unzureichend ist und wenn ich mir mal meine „letzte Meile“ anschaue, dann gibt es da gar keinen Radweg – wie soll mich ein E-Scooter also auf dem Arbeitsweg unterstützen?

Wer sich übrigens wundert, warum unser oberster Autolobbyist -pardon – Verkehrsminister so für die Zulassung gekämpft hat, muss nur mal auf die großen Hersteller schauen: Audi und BMW, beide bauen E-Scooter und hinter dem Sharingdienst e-Floater steckt die Allianz. Also 3 große bayerische Unternehmen, die gar kein Interesse an einer „Letzte Meile“ Lösung haben, hier sollen einfach nur neue Fahrzeuge als Lifestyle Objekt verkauft werden. Und das ist einfach nicht nachhaltig.

Mobilitätshub

Hier in Berlin baut die BVG gerade sogenannte Mobilitätshubs auf, das Stationen in denen Autos, Fahrräder, Roller und E-Scooter, Lastenräder bereitstehen und auch Fahrradgaragen, Ladestationen, Taxistellplätze, Ridesharing Station soll hier integriert werden. Das ist ein Zukunftsmodell und löst das letzte Meile-Problem, weil ich mir einfach das Verkehrsmittel aussuchen kann, das am besten zu mir passt.

Car-Sharing / Ridesharing

Car-Sharing ist geil und ein wichtiger Baustein für eine Verkehrswende. Wer in einer Großstadt lebt, hat vielleicht die Vorzüge schon genossen. Ich persönlich brauche vielleicht 2-3 mal im Jahr ein Auto – ich wäre ja bekloppt, wenn ich mir dafür KFZ Steuer, Versicherung und Parkplatzsorgen ans Bein binden würde. Drive Now* App anschmeißen und losfahren. Praktisch!
Ridesharing wie zum Beispiel der Berlkönig der BVG oder das von Volkswagen betriebene MOIA sind großartige Ideen für eine innerstädtische Zukunft.

Belohnungen statt Verbote:  Die Spezies Mensch ist nicht klüger als ein Hund

Die Vorstellung auf ein Auto zu verzichten ist für viele so weit weg – so absurd, dass sie sich das partout nicht vorstellen können. Sie kaufen sich, trotz besseren Wissens immer breitere, immer größere und noch Umwelt-schädlichere Autos, aber genau dieses Umdenken ist für eine nachhaltige Verkehrswende notwendig.
Deshalb brauchen wir ein Belohnungssystem – In dieser Beziehung ist der Mensch nicht intelligenter als ein Hund.

Kurzstrecken besteuern

Über 40 % aller Pkw Fahrten sind kürzer als  5 Kilometer. Wer unbedingt mit dem Auto zum Bäcker will, der soll bezahlen. Jetzt höre ich direkt dieses eine merkwürdige Argument „Aber die alte und gebrechliche Oma muss doch schon Flaschen sammeln“ …. Ja, Ja wenn man keine Argumente hat, dann führt man eine schwache Minderheit vor, um die eigene Faulheit zu rechtfertigen. Diese Oma, bekannt aus zahlreichen Facebook Diskussionen gibt es nicht und wenn doch, hat sie wahrscheinlich einen Behindertenausweis und den könnte man auch tatsächlich davon befreien. Diese Form der Steuer geht in der Idee einer CO2-Steuer auf. So könnte man über die Pendlerpauschale die Steuer zurückvergüten, Kurzstrecken werden dadurch allerdings teurer und auch Freizeitfahrten in den Wald schlagen kräftig zu Buche.

Zusatzsteuern für große Autos, Vergünstigungen für Kleinwagen

Ein Kleinwagen verbraucht weniger Energie, er verursacht weniger Feinstaub, er stößt weniger Schadstoffe aus und nimmt weniger Platz ein. Aber dennoch: Die Nachfrage nach immer breiteren SUVs steigt. Diese Dinger, die fast breiter sind als eine Fahrbahn, haben im innerstädtischen Verkehr nichts verloren. Die Parkplätze sind zu klein, die Straßen zu eng, der Sicherheitsabstand zu Fahrradfahrern kann gar nicht mehr eingehalten werden… und dennoch, statt auf Stadt-kompatible Größen zu wechseln, fordert der ADAC lieber breitere Parkplätze, dass so das Parkplatzproblem nur verschärft scheint niemanden zu stören. Auch dieses Problem wäre durch eine CO2 Steuer gelöst: Wer ein umweltfeindliches Auto fahren will, soll bezahlen.

Darüber hinaus könnte man auch bestimmte Parkhäuser für große Autos komplett sperren, Kleinwagen hingegen kostenlos benutzen lassen.
Wenn der SUV Fahrer sieht, dass der Nachbar mit seinem Polo jederzeit kostenlos mitten in der Stadt parken kann, wird er sich vielleicht überlegen, ob sein 4 Meter breiter „Geländewagen“ wirklich für den Stadtverkehr taugt.

Es gibt viele Ansätze für eine erfolgreiche Verkehrswende. E-Mobilität ist natürlich eine wichtige Säule, aber nur eine von vielen. Viel wichtiger finde ich es, dass Autos kleiner werden und weniger genutzt werden. Das passiert aber nur, wenn die Alternativen dafür vorhanden und praktikabel sind. Niemand sollte auf Mobilität verzichten müssen, aber wir müssen endlich damit beginnen unsere Mobilität anders zu definieren. DAS ist eine Verkehrswende.

 

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