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Der Fall Fynn Kliemann schleppt ein lautes Echo hinter sich her. Ja, er hat gewissermaßen die Nachhaltigkeitsbewegung verraten, aber da wir uns generell nicht auf einzelne Personen einschießen und uns in der gesamten Diskussion ein Thema viel zu kurz kommt, haben wir uns bisher auch nicht geäußert. Wir werden Fynn Kliemann hier nicht verteidigen, aber auch nicht auf ihn einschlagen. Vielmehr geht es uns um die Frage: Ist Made in Bangladesch grundsätzlich schlecht und Made in Europe gut?
Made in Bangladesch vs. Made in Europe
Es scheint ein Trend zu sein, dass man Made in Europe mit Nachhaltigkeit und fairen Arbeitsbedingungen gleich setzt. Aber wie schon George Orwells Schafe wussten „Vier Beine gut – Zwei Beine schlecht“ ist eine sehr engstirnige, pauschalisierende Aussage. Und so ist „Made in Bangladesch“ nicht automatisch nicht nachhaltig und „Made in Europa“ nicht automatisch gut.
Bangladesch ist weltweit der zweitgrößte Exporteur von Textilien. 4-5 Mio. Menschen arbeiten in ca. 7.000 Fabriken und machen einen Anteil von 80% des gesamten Exportes des Landes aus. (Quelle: saubere-kleidung.de)
Wir werden im Folgenden Vergleiche mit Serbien ziehen, da hinter einem lapidaren „Made in Europa“ nicht selten das europäische Billiglohnland steht. Fynn Kliemann tut übrigens genau das. Serbien ist zwar in vielen Punkten besser als Bangladesch, von nachhaltig oder fair können wir beim besten Willen nicht sprechen.
Faire Bezahlung
Grundsätzlich gilt: Faire Bezahlung ist keine Standortfrage. Man kann Arbeiter*Innen überall auf der Welt fair bezahlen. Natürlich verdienen Arbeiter*Innen in sogenannten Billiglohnländer weniger Geld – gemessen an den Lebenshaltungskosten spielt das aber am Ende keine Rolle.
Etwa 380€ müssten Arbeiter*Innen in Bangladesch verdienen, um ihre Existenz zu sichern. Der Mindestlohn liegt aktuell aber gerade einmal bei knapp 80€. Dabei sind Überstunden und Arbeitstage von 15 bis 16 Stunden keine Seltenheit.
Aber hier bei uns in Europa gibt es so eine Ausbeutung nicht? Leider doch! Serbien, wo die Masken von Fynn Kliemann eigentlich hätten produziert werden sollen, steht Bangladesch in Sachen faire Bezahlung in nichts nach. Zwar verdient man hier mindestens 210 € im Monat – Der Existenzlohn liegt aber bei 810 € – Das Verhältnis von Mindestlohn zu Existenzlohn ist also etwas besser, reicht aber lange nicht zum Leben.
Ein ähnliches Bild finden wir in anderen europäischen Ländern, wie Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Albanien – Sogar in Polen entspricht der Mindestlohn gerade mal 30% des Existenzlohnes. (Quelle: saubere-kleidung.de)
Beim Durchschnittslohn sieht die Sache noch einmal anders aus. Der lag 2020 in Bangladesch bei 300€ und entspricht damit etwa 80% des Existenzlohnes. In Serbien liegt der Durchschnittsbruttolohn bei etwa 700€, was 85% des Existenzlohnes entspricht.
Richtigerweise müsste es also heißen: In Europa werden Arbeiter*Innen etwas weniger unfair bezahlt.
Natürlich entwickeln sich die Märkte. Serbien will in die EU und wird sicher noch einige Fortschritte machen. So hat das Land gerade erst seinen Mindestlohn angehoben. Aber Stand heute können wir nicht pauschal sagen, dass Arbeiter*Innen in Europa fair bezahlt werden.
Arbeitsbedingungen
Unabhängig von fairen Löhnen sind die generellen Arbeitsbedingungen essenziell. Etwa Gleichstellung, Kinderarbeit über Pausen – und Überstundenregelungen, Krankmeldungen, Mitarbeitervertretungen, Tageslicht bis hin zu Sicherheit. Prominentestes Beispiel ist sicher der Einsturz der Textilfabrik in Rana Plaza 2013. Die Gebäudesicherheit wurde seitdem tatsächlich verbessert – Die Arbeitsbedingungen nicht. Überstunden gehören in Bangladesch nach wie vor zur Tagesordnung. Zwei Überstunden sind dabei die Regel, aber viele arbeiten bis zu 100 Stunden pro Woche. (Quelle: Femnet.de)
Daneben gibt es auch immer noch Diskriminierung und von einer soliden Gesundheitsvorsorge sind wir meilenweit ntfernt. Die Kosten für die Corona-Impfung wurden vom Gehalt abgezogen.
Gemeinsam mit dem GIZ wird aber auch vieles unternommen, was Hoffnung macht. Frauencafés und Rechtsberatung zum Beispiel.
Leider sind die Arbeitsbedingungen in Serbien keinen Strich besser.
Europaabgeordnete sprechen sogar von „Moderner Sklaverei“. Die serbische NGO A-11 hat herausgefunden, dass Arbeiter*Innen aus Vietnam für eine chinesische Firma nach Serbien gebracht wurden, um dort zu arbeiten. Inklusive Einbehaltung von Reisepässen, also genauso wie man das in schlechten Fernsehkrimis immer sieht. 26 Tage pro Monat arbeiten diese Menschen dort, leben in Unterkünften, die eher Baracken sind und über fragwürdige sanitäre Anlagen verfügen.
Hier muss Serbien als Beitrittskandidat zur EU massiv nachlegen!
Umweltstandards
Es ist bekannt, dass die Textilbranche zu den schmutzigsten Industrien gehört. Besonders der asiatische Raum glänzt nicht gerade mit strengen Umweltstandards. Beim Färben werden giftige Chemikalien in Flüsse und am Ende in unsere Weltmeere gespült. Auch das Grundwasser wird in den Regionen immer stärker verschmutzt. Wir empfehlen an der Stelle die ZDF-Doku „Vergiftete Flüsse“
Der Burinanga gilt als einer der schmutzigsten Flüsse der Welt. Der Fluss ist so vergiftetet, dass kein einziges Tier mehr darin lebt. Von einer Nutzung ganz zu schweigen.
Zwar gibt es in Bangladesch einige Umweltauflagen, aber niemand nimmt das ernst – Die Fabriken ignorieren sie größtenteils und überwacht wird die Einhaltung nicht. Das GIZ setzt sich stark für Umweltstandards ein und unterstützt die Regierung in Bangladesch – Auch wenn das Ganze etwas anmutet wie ein Kampf gegen Windmühlen. Am Ende ist auch die Profitgier der westlichen Konzerne dafür verantwortlich – Umweltschutz kostet schließlich Geld.
Die Umweltstandards sind in Europa doch viel besser als in Asien! Ist das so?
Auch hier werden Umweltauflagen weder kontrolliert noch eingehalten. Aber es formiert sich Widerstand, Umweltaktivisten erheben sich in Serbien, was durchaus Hoffnung macht. Natürlich kommt auch der Druck aus Brüssel hinzu, schließlich will Serbien in die EU, allerdings besteht auch eine gewisse Abhängigkeit zu China.
Transportweg
Das Rennen geht in den meisten Fällen unentschieden aus. Schließlich kommt die Baumwolle für das Shirt schon von weit her. Da macht es den Kohl auch nicht fett, wenn die Baumwolle aus Asien auch in Asien weiter verarbeitet wird und danach als fertiges Shirt die Reise nach Europa antritt, oder ob nur der Rohstoff zur Produktion zu uns gebracht wird. Weder die CO₂-Bilanz noch die Transportkosten dürften sich hier wesentlich unterscheiden.
Tatsächlich ist es wirtschaftlich für die bestimmten Regionen für sinnvoller, wenn auch dort produziert wird. Daraus kann nämlich eine eigenständige, überlebensfähige Wirtschaft entstehen. So werden aus einfachen Rohstofflieferanten globale Partner auf Augenhöhe. Fair Chain nennt sich dieses Prinzip.
Die Qualität
„Wer billig kauft, kauft zweimal.“ Das hat mein Opa immer gesagt. Tatsächlich haben einige Marken Erfahrungen mit schlechter Qualität aus beispielsweise Indien gemacht, wie das Edit-Magazin im Gespräch mit Greenality herausfand.
Fazit:
Die Produktion in Europa ist allgemein schon besser – aber wir sind auch hier weit davon entfernt, ein „Made in Europe“ automatisch als nachhaltig einzustufen. Wie immer gilt: Genauer hinschauen lohnt sich.
Was wir jetzt von Fynn Kliemann und Global Tactics erwarten würden: Transparenz!
Nur eine Transparenzoffensive würde zeigen, wie fair die Projekte tatsächlich sind. Denn die Aussage im Instagram Statement von Fynn „Zulieferer seien Geschäftsgeheimnisse“ können wir nicht gelten lassen. Wer nachhaltig sein will, verzichtet auf diesen „Vorteil“. Immer mehr Unternehmen setzen auf Transparenz in ihrer Lieferkette. Retraced zum Beispiel – Die unter anderem Inaska, Kings of Indigo, Fond of, Dedicated, KnowledgeCottonApparel, Tropicfeel und viele mehr, auch große Marken wie Joop oder Marc O‘ Polo lassen sich hier mittlerweile in die Karten schauen. Sogar Oceansapart hat sich nach dem Skandal um falsche Siegel im letzten Jahr der Fair Wear Foundation angeschlossen.
Das Berufen auf ein Betriebsgeheimnis ist daher als ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend zu bewerten. Wer seine Lieferanten verschweigt, hat auch was zu verbergen. Gerade jemand, wie Fynn Kliemann, sollte im Bereich der Lieferketten die Blockchain Technologie zu nutzen wissen.
Abschließend möchten wir Dir noch die Reaktion von Marc Robert Lehmann auf das Video vom dunklen Parabelritter empfehlen. Gerade das Abschluss-Statement von Robert trifft das Ganze auf den Punkt: Nur weil ein Mensch hier falsche Entscheidungen getroffen hat, sollten wir nicht die gesamte Nachhaltigkeitsbewegung infrage stellen. Vielleicht schauen wir alle zukünftig genauer hin, vielleicht sind wir kritischer – aber niemals, wirklich niemals ist „Dann können wir es auch gleich lassen“ die richtige Antwort.
Wir leben in einer Zeit, in der wir auf nichts verzichten müssen und trotzdem nachhaltig leben können. Das einzige, was wir tun müssen ist, den Blickwinkel zu ändern und unsere Prioritäten gerade rücken.